Daily Flip Das Eintracht Tagebuch seit 1999.

Halbzeitstand 0:4!

Halbzeitstand 0:4! In Worten: Null zu Vier! Endstand 1:5! In Worten: Eins zu Fünf! Hey, nicht wegschauen, weiterlesen! 1:5 zu Hause!!! Gegen einen Aufsteiger!!! Lasst euch das auf der Zunge zergehen! Das war eine Demontage erster Klasse! Auch nachdem ich eine Nacht drüber geschlafen habe - ich habe mich noch nicht wieder beruhigt! So ein Debakel! Spontan fällt mir dazu folgendes ein: Die einen werden als Christian Timm, Markus Kurth oder Matthias Scherz geboren. Andere kommen als Abzocker, Heulsusen oder Arbeitsverweigerer zur Welt. Damit wäre der erste Werbespruch der “Neuen Eintracht” auf den neuesten Stand gebracht. Es fällt mir nicht leicht, aber ich werde versuchen das Spiel jetzt mal aufzuarbeiten. Nachdem die ersten Hürden genommen waren (unsere FC-Anhängerin wurde in der S-Bahn nicht kontrolliert, die Straßenbahn überlebte das Gehüpfe einiger angeheiterter Fans, die nette Dame am Kassenhäuschen schien sich nicht ganz mit der Kartenaktion ihres Arbeitgebers vertraut gemacht zu haben, der Ordner nahm es etwas zu genau) kam ich zusammen mit der FC-Anhängerin ins Stadion. Chris war krankheitsbedingt zu Hause geblieben. Ich hatte ein gutes Gefühl und war richtig heiß auf das Spiel. Die Stimmung wurde auch gleich angeheizt, weil die wirklich vielen Kölner “Sch…böcke” in ihrem Block nicht nur ein paar Leuchtraketen abbrannten, sondern gleich ein Feuerwerk veranstalteten. Ich musste sofort an meine Silvesterparty denken (siehe Daily Flip vom 1. Januar). Damit war also für Zündstoff gesorgt und die Eintracht-Fans zeigten gleich, wer Herr im Hause ist. Das tat zu Beginn auch die Mannschaft. In den ersten 10 Minuten war die Eintracht drückend überlegen, holte bestimmt 5-6 Ecken heraus. Klare Torchancen gab es aber nicht. Die Kölner, die mit 3 Spitzen angetreten waren, verlegten sich von Anfang an auf Konter, wie es ja nun einmal ihr Spiel ist. Nach 12 Minuten kamen die Kölner dann auch mal nach vorne. Auf der rechten Seite hatte Scherz den Ball. Torsten Kracht stand da, wo er stehen musste… Aber der Kölner drehte sich um unseren Kapitän, ließ ihn stehen wie eine Slalomstange (doch selbst die bewegen sich) und flankte nach innen. Karel Rada stand da, wo er stehen musste… Aber anstatt den Ball zu stoppen, hob er das Beinchen und schlug ein astreines Luftloch. Petr Hubtschev, heute Manndecker, stand da, wo er stehen musste… Und natürlich wäre er mit seiner Supergeschwindigkeit auch an den Ball gekommen - wenn Markus Kurth nicht in seinem Windschatten gewesen wäre… Ihr seht es: Ich flüchte mich schon jetzt in Galgenhumor. Der Kölner markierte nach dieser Aneinanderreihung von gravierenden Abwehrfehlern das 0:1. Oka Nikolov war machtlos, wie auch bei allen folgenden Toren. In der nächsten Viertelstunde tat sich nichts. Dann gab es einen öffnenden Pass auf der linken Kölner Angriffsseite. Die Eintracht-Abwehr hechelte nur hinterher. In aller Seelenruhe kam die Flanke nach innen. Torsten Kracht wollte vor dem einschussbereiten Stürmer klären und erzielte ein wunderbares Eigentor… Noch hatte ich leichte Hoffnung, aber dieser Spielstand lud die Kölner natürlich geradezu zu weiteren Kontern ein. Und sie nutzten ihre Chancen eiskalt. Die 35. Minute: Langer Pass über die linke Abwehrseite der Eintracht. Klasse Pass von Janosch Dziwior auf Matthias Scherz. Der hatte Zeit und umkurvte Nikolov. Rada konnte nicht mehr eingreifen, weil er vorher unmotiviert stehengeblieben war - 0:3. Jetzt wurde Wimmer durch Branco ersetzt. Es hätte aber jeden anderen genauso erwischen können. Und es ging noch weiter. Langer Pass (zum dritten), diesmal wieder über links. Sobotzik hat einen Riesenvorsprung vor seinem Gegner, denkt, dass der Ball ins Aus geht. Also bremst er ab und lässt austrudeln. Fehlende Einstellung, mangelnde Einsatzbereitschaft, fehlende Klasse - irgendwo dazwischen liegt der Grund dafür, dass der Kölner den Ball doch noch erreichen konnte. Flanke nach innen und Schwuppdiwupp stand es 0:4 (Kurth). Ich war wie versteinert, raufte mir die Haare und konnte gar nichts mehr sagen. Die FC-Sympathisantin war gottseidank nicht so dreist, ihren Erfolg auch noch auszukosten. Vielmehr versuchte sie mich aufzubauen. Aber das konnte natürlich nicht klappen. Die Fans pfiffen die Eintracht jetzt aus und bejubelten jeden Ballkontakt des Gegners. Und die Sprechchöre “Ihr seid scheiße, wie der OFC” waren plötzlich nicht mehr eindeutig zu interpretieren… Die Polizei musste aufmarschieren, um kleinere Ausschreitungen im Keim zu ersticken. In der Halbzeit musste ich erstmal Chris anrufen und mich abreagieren. Ich hatte große Lust zu gehen, aber das würde ich nie machen. Ich stehe ja immer zur Eintracht. Trotzdem brauchte es schon eine gewisse Portion Masochismus, sich die zweite Halbzeit auch noch anzutun. Die Kölner schalteten mehr als nur einen Gang zurück, so dass die Eintracht sogar auch zu Angriffen kam. Diese waren jedoch an Harmlosigkeit nicht mehr zu überbieten. Für Unterhaltung sorgte jetzt das Schirigespann. Ein Kölner hatte die Fahne des Linienrichters kaputtgeschossen… Die Funkverbindung war damit gestört. Der Linienrichter vor der Gegentribüne musste aus der Kabine eine neue Fahne holen. Das Spiel wurde deshalb einige Minuten unterbrochen. Als hätte ich mir nicht schon lange genug alles abgefroren… Kurz darauf erwürgte sich die Eintracht das 1:4. Ein planloses Gestochere vor dem gegnerischen Tor brachte Kryszalowicz in die Situation nur noch treffen zu können. Ich sehnte mich weiterhin nur noch nach dem Abfiff und durfte aber zuvor noch das 1:5 durch einen weiteren tollen Konter bejubeln. Erwähnenswert war noch eine Frustgrätsche von Alex Schur, die ihm seine obligatorische gelbe Karte bescherte, und die starken fünf Minuten von Karel Rada: Ball vertändelt - Großchance eingeleitet! Unbedrängter Pass ins Nichts - Ball weg! Gegner einfach umgerannt - Verwarnung! Da haben wir uns einen echten Toplibero eingehandelt… Jetzt kommt erst mal die Kritik am Trainer (er soll aber nicht gefeuert werden!!!!): Wie kann man gegen drei bekanntermaßen schnelle Spitzen mit einer Dreierkette spielen? Wie kann man den langsamen Petr Hubtschev, der als Libero nur von seinem Stellungsspiel profitiert hat, als Manndecker stellen? Wo war Guie-Mien? Es ist mir ein Rätsel… Aber verbockt hat das trotzdem nur die Mannschaft! Da war keine klare Linie zu erkennen. Der Einsatzwille war nicht vorhanden. Teilweise war das sogar arrogant. Denn wer bei 0:4 noch einen Hackentrick versucht, gehört eigentlich sofort ausgewechselt! Da muss das Ziel Schadensbegrenzung sein und mit Sicherheit nicht Schönspielerei! Im Moment haben die Spieler meine Sympathien verspielt. Die faulen Säcke hätten lieber mal ihren Arsch bewegen sollen! Mit dieser Leistung spielen wir nächstes Jahr nämlich wieder 2. Liga! Dann heißt es Fürth statt Bayern, Saarbrücken statt Dortmund und Aachen statt Leverkusen! Wollt ihr das? Ich könnte drauf verzichten! Wenn das hier irgendeiner der Spieler lesen sollte: Ihr müsst einiges tun, um mich wieder zu versöhnen. Meine Leidensfähigkeit ist groß, aber nicht unendlich. Ich habe ein Debakel bei den Stuttgarter Amateuren weggesteckt, schwache Vorbereitungsspiele, katastrophale Auswärtsleistungen und nun schon 3 Heimniederlagen in Folge. Jetzt ist Schluss. Die nächsten beiden Spiele sind vorentscheidend. Gegen Rostock und Cottbus müssen 4, eigentlich sogar 6 Punkte her. Das sind eure direkten Konkurrenten, verdammt nochmal!!! Wenn jetzt einer von euch Schlappschwänzen nach Entschuldigungen sucht, hat er seinen Beruf verfehlt. Ihr seid jetzt gefordert! Wir Fans waren bisher euer 12. Mann - gestern wart ihr die Zuschauer 28101-28111! Womit der zweite Werbespruch der “Neuen Eintracht” auf den neuesten Stand gebracht wäre! Seht zu, wie ihr da wieder rauskommt! Ihr habt mich enttäuscht, aber so ist das eben: Wenn ihr absteigt, sucht ihr euch einen neuen Verein. Wenn die Eintracht absteigt, macht mein Leben kaum noch Sinn (Ich werde mich nicht…). Hängt euch rein, kämpft, und vor allem: Siegt! Ich habe fertig! Nachtrag: Das nächste Spiel findet in Rostock statt. Zeit für eine Gedenkminute… Der 16. Mai 1992 - die Geburtsstunde des “Traumas Rostock”. Letzter Spieltag, die Eintracht ist Tabellenführer. Nur noch ein Sieg beim Abstiegskandidaten und man wäre Deutscher Meister. Doch die Eintracht zeigt Nerven, es steht nur 1:1. Kurz vor Schluss steht Ralf Weber frei vor dem Tor, er holt aus, die mitgereisten Fans reißen schon die Arme hoch. Da rauscht Stefan Böger heran und zieht Weber das Standbein weg. Elfmeter - dachten alle! Doch Schiri Berg pfeift nicht… Im Gegenzug erzielt Böger sogar noch das 2:1 für die Gastgeber. Fassungslosigkeit, Ratlosigkeit, Trauer. Der Traum wurde binnen Sekunden vom Trauma, das bis heute nicht überwunden ist. Ich weiß noch genau, wie ich reagiert habe als ich von dem Ergebnis erfahren habe. Es war das erste Mal, dass ich wegen der Eintracht geweint habe. Jedoch nicht das letzte Mal: Da war z.B. noch das Ausscheiden nach Elfmeterschießen im Uefa-Cup gegen Salzburg, der Abstieg, der Aufstieg (die ersten Freudentränen)… Dieser Samstag im Mai war jedoch der schlimmste, den ich erlebt habe. So geheult habe ich seitdem nie wieder… Das musste jetzt noch sein. “Rostock” passt so richtig zu meiner momentanen Stimmung…

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