Daily Flip Das Eintracht Tagebuch seit 1999.

Die WM ist vorbei - ein Rückblick...

Ein Monat Fußball-Weltmeisterschaft liegt jetzt hinter uns - und es war eine geile Zeit! Zudem war sie aus deutscher Sicht auch noch ausgesprochen erfolgreich. Grund genug für einen echten Daily Flip-Rückblick auf die Ereignisse…

Alles begann am 9. Juni, einem Freitag, mit dem Eröffnungsspiel gegen Costa Rica. Chris und ich waren, wie wahrscheinlich die ganze Fußballwelt, eher skeptisch was den Verlauf dieser WM für unsere Mannschaft anging. Aber hey, für Costa Rica wird’s ja wohl noch reichen… Zuhause sah ich noch wie auf der Eröffnungsfeier hunderte Akteure einen Schuhplattler hinlegten, unsere Bundeskanzlerin dazu ein Pfeifen auf den Lippen hatte und alle Welt wieder mal bestätigt bekam, dass wir in Deutschland das ganze Jahr über Lederhosen tragen. Einigermaßen schockiert fuhr ich dann zu Chris, um mir das Spiel anzusehen. Und das ging ja super los: Philipp Lahm traf mit einem wunderschönen Tor bereits nach 6 Minuten. Bezeichnenderweise machte er dabei genau die Bewegung, die Chris immer kritisiert hatte: “Der macht immer das gleiche, er zieht nach innen und schießt dann…” Gottseidank tat er es diesmal wieder :-) Die Erwartungen an ein Schützenfest wurden aber schon kurz darauf getrübt, als Wanchope den Ausgleich erzielte. Wan… Wer? Paulo Wanchope, selbst Paulo Wanchope hatte gegen unsere Abwehr leichtes Spiel! In bester Weltuntergangsstimmung und mit einem dicken Hals fing ich an, unseren Trainer, unsere Abwehr und überhaupt alles zu kritisieren. Und mitten rein traf Miro Klose - 2:1, wir waren wieder auf Kurs. Nach einer Stunde war es erneut Klose, der den Ball versenkte. Das Spiel war entschieden. Aber da war ja noch Paulo Wanchope. Erneut pennte Arne F. in unserer Hintermannschaft und es war wieder spannend. Eine Viertelstunde mussten wir tatsächlich leicht Zittern, dann aber ließ Torsten Frings ein Pfund raus, das sich gewaschen hatte. 4:2, das war doch OK. Die Gegentreffer hätten nicht sein müssen. Aber wir hatten ja wieder einmal mehr Tore geschossen als wir bekommen hatten. Ein gelungener Start.
Die zweite Partie war das Spiel gegen Polen. Chris und ich hatten uns diesmal auf den Weg nach München gemacht, um uns zunächst den Kracher Saudi Arabien-Tunesien anzuschauen. Hierzu gibt es einen eigenständigen Daily Flip, deshalb hier nur nochmal der Dank an Radhi Jaidi und sein goldenes Tor ;-) Am Abend dann hatten wir es uns in einem Biergarten gemütlich gemacht und das Spiel unserer Mannschaft angeschaut. Odonkor, Neuville - und spätestens jetzt war Deutschland außer Rand und Band.
Die Fahnenproduktion lief auf Hochtouren: Autos, Balkon, Menschen - alles war schwarz-rot-gold! Und irgendwie kam langsam der Klinsmann’sche Optimismus auch bei Realisten wie mir zum Tragen. Wir wollen Weltmeister werden!
Die Qualifikation für das Achtelfinale war bereits geschafft. Jetzt konnte gegen Ecuador gezaubert werden. Und das tat unsere Mannschaft: Klose im Doppelpack, einmal Podolski, Traumpässe von Ballack, wunderbare Konter - wann gab’s das zuletzt von einer deutschen Mannschaft? Es war nur ein Sieg gegen eine Mannschaft aus Südamerika, die einige Stammspieler geschont hatte. Und dennoch erreichte die Euphorie einen neuen Höhepunkt.
Im Achtelfinale warteten die Schweden auf uns. Auf dem Papier war das einer der schwierigeren Gegner für diese Phase des Turniers. Doch das ließ unsere Mannschaft kalt: Bereits nach 4 Minuten führten wir wieder mit 1:0. Zauberpass Ballack, Klose scheitert und Podolski staubte ab. Nur 8 Minuten später der nächste Geniestreich. Klose hatte den Ball, die schwedische Abwehr gehörigen Respekt (drei Mann stürzten sich auf unseren Torjäger), Klose zu Podolski und Prinz Poldi besorgte das 2:0 nach 12 Minuten. Damit war auch dieses Spiel entschieden. Einziger Schönheitsfehler: Ballack schoss sich zwar die Füße wund, schaffte aber nicht SEIN Tor. Sei’s drum. Denn wir wollen Weltmeister werden - und mit so einer Leistung KÖNNEN wir es auch!
Da unser Team gemeinsam mit Argentinien den wohl überzeugendsten Fußball dieser WM gezeigt hatte, legte ich mich vor dem anstehenden Viertelfinale der beiden Mannschaft fest, dass der Sieger am Ende auch der Weltmeister sein würde. Die Euphorie im Lande sorgte dafür, dass ich die ersten drei Minuten des Spiels verpasste. Für die unter normalen Umständen gut 10 Minuten dauernde Strecke zu Chris benötigte ich mehr als eine halbe Stunde. Alle Welt wollte nach Hause und das Spiel sehen und ich steckte erstmal im Stau. Ich kam aber gerade noch rechtzeitig, um Chris (das alte Nervenbündel) moralisch zu unterstützen. Die Südamerikaner bestimmten die Partie über weite Strecken, so dass es einiges zu Zittern gab. Da ich von der Eintracht so einiges gewohnt und daher schon etwas abgehärtet bin, konnte ich Chris beruhigen. Auch nach dem Rückstand durch Ayala war ich der Meinung, dass wir immer ein Tor schießen können. Und unsere Mannschaft bäumte sich auf und Klose machte tatsächlich sein fünftes Tor bei dieser WM. Da die Argentinier mit Crespo und Riquelme ihre besten Offensivkräfte ausgewechselt hatten, überstanden wir auch die Verlängerung schadlos. Dann war Elfmeterschießen angesagt. Und das können wir ja wohl wie kein zweiter: Neuville, Ballack, Podolski und Borowski bewarben sich mit ihren Schüssen für ein Lehrvideo für den englischen Verband. Garniert wurde das ganze durch Paraden von Jens Lehmann gegen Ayala und Cambiasso. Von menschlicher Größe zeugte die Geste von Oliver Kahn, der vor dem Elfmeterschießen seinen Kollegen (aber auch Konkurrenten) Lehmann abklatschte und ihm Glück wünschte. Naja, und der Zettel in Lehmanns Stutzen mit den Vorlieben der argentinischen Schützen dürfte mittlerweile sowieso legendär geworden sein… Leider spielten sich danach unschöne Szenen ab, da die Argentinier den Kopf verloren hatten. Cufre trat Mertesacker in den Unterleib. Das war fast schon Körperverletzung und wurde mit sagenhaften 4 Spielen Sperre bestraft. Das dann eine etwas größere Rudelbildung einsetzte dürfte kaum verwundern. Maxi Rodriguez sah sich noch berufen, unserem Schweini von hinten einen Faustschlag auf den Kopf zu versetzen (vielleicht war es ja auch, der mir meine bislang ungeklärte Beule versetzt hatte?). Die FIFA untersuchte die Vorfälle natürlich und teilte bald darauf mit, dass gegen deutsche Spieler keine Verfahren eröffnet würden. Das Halbfinale gegen Italien konnte also getrost kommen!
Anders sah das südlich der Alpen aus. Die dortigen Medien taten plötzlich neue Fernsehbilder auf, die angeblich zeigen sollten, dass auch Torsten Frings ausgeteilt hatte. Sein “Faustschlag” gegen Cruz sah für mich allerdings eher wie eine reine Defensivaktion aus. Und da der “Geschlagene” selbst erklärte, dass er nicht getroffen worden sei, war doch eigentlich auch dieses Störfeuer schnell beendet. Die FIFA wollte aber wohl nicht den leisesten Hauch des Verdachts einer Bevorteilung des Gastgebers aufkommen lassen und rang sich zu einer Alibi-Strafe durch: Ein Spiel Sperre für Frings, ein weiteres auf Bewährung. Ein nach wie vor unglaublicher Vorgang. Der beste Spieler aus dem Viertelfinale war plötzlich weg - und das einen Tag vor dem Spiel gegen Italien…
Dennoch gingen Chris und ich voller Zuversicht in dieses Spiel, das der letzten Schritt auf dem Weg nach Berlin sein sollte. Nach einer ersten Halbzeit mit leichten Vorteilen für die Italiener und einer sehr guten zweiten Hälfte unserer Klinsmänner stand aber dennoch auf beiden Seiten die Null und es gab Verlängerung. Die Italiener hatten offenbar Angst vor dem Elfmeterschießen und legten los wie die Feuerwehr. Pfosten, Latte - innerhalb von zwei Minuten blieb uns mehrfach das Herz stehen. Dann konnte ich aber wieder bei fast jedem Angriff der Italiener sagen: “Die bringen ja gaaar nix!!!” Und irgendwie deutete alles auf ein erneutes Elfmeterschießen hin. Die Uhr im ZDF stand bei 117, als Chris mich fragte, ob ich mir diesbezüglich wirklich sicher sei. “Na klar, wer soll denn hier noch ein Tor schießen?” Aber dann, Spielminute 119. Der letzte Eckball für Italien. Eigentlich war die Szene doch schon geklärt - und auf einmal schlug der Ball im Tor ein. Kollektives Entsetzen durchflutete das von einer virtuosen Zeitschaltuhr mal mehr und mal weniger beleuchte Wohnzimmer bei Chris. Aus, vorbei, der Traum vom Titel war zerplatzt. Wie in Trance betrachteten wir noch das 2:0 durch Del Piero. Aber das Entsetzen war groß. Dieses Gefühl vollkommener Leere hatte ich zuletzt am 26.09.04 erlebt. Auch damals traf ein Schuss aus dem Nichts mitten in mein Herz. Und auch diese Endgültigkeit, diese fehlende Möglichkeit noch einmal zurückzuschlagen erinnerte fatal an damals. Auf dem Platz weinten die Spieler, die Fans feierten die Mannschaft dennoch. Und Chris und ich fühlten uns wie im falschen Film. Diese eine Ecke nur noch. 90 Sekunden und wir wären im Elfmeterschießen gewesen und hätten natürlich gewonnen. Es tat wirklich in der Seele weh…
Die Katerstimmung am nächsten Tag war schon ziemlich bedrückend. Ich konnte es kaum ertragen, das zweite Halbfinale zu sehen. Zu sehen, wie sich steinalte Franzosen ins Endspiel stümperten, während unsere Jungs mit dem Spiel um Platz 3 Vorlieb nehmen mussten.
Langsam setzte sich dann aber doch die Erkenntnis durch, dass unsere Mannschaft eine grandiose WM gespielt hatte. Und so begingen wir das Spiel um Platz 3 auch noch einmal wie es sich für ein WM-Spiel gehört. Chris, diesmal auch noch in Begleitung seiner Wag, hatte einen Grillabend vorbereitet. Mit ein paar Würstchen und Tim-Mälzer-Nudelsalat. Chris’ Wag machte erstmal die Ketchupflasche leer - flatsch - dann aber passierten keine weiteren Missgeschicke. Untermalt von schönster Moschee-Musik aus dem Nachbarhaus aßen wir die Würstchen und Chris bekam die überraschende Nachricht, dass man diese auch kalt essen könne. Das wollte er aber unter allen Umständen vermeiden und tat sich als Resteesser hervor. Und das, obwohl er ja trotz seines Untergewichts immer befürchtet, dicker zu werden. Was soll ich denn da erst sagen mit meinem 9. Monats-Schwangerschaftsbauch? Während Chris jetzt völlig durchdrehte und mit Deko-Wespen einen Strömungsabriss demonstrierte kam durch die Hecke eine Stimme, mit der man bei Chris immer rechnen muss und die manchmal für kollektive Nervenzusammenbrüche sorgt. Die Dame wollte jedenfalls urplötzlich einen Kuchen backen und diesen Chris andrehen. Als ich eine unvorsichtige Bewegung machte, erspähte sie auch mich, aber ich entkam Schlimmerem.
Dann fing es leicht an zu regnen, was Chris’ Bruder nicht daran hinderte, das Fernsehkabel durch diverse Fenster zu verlegen. Dann begann das Spiel um den dritten Platz. Wie erwartet war es zunächst kein berauschender Kick gegen die Portugiesen. Chris berauschte sich somit an seiner Wag, die “einfach an alles denkt”. Sogar an Fernsehkabel, die von Rolläden gefährdet werden, weil wieder mal eine Zeitschaltuhr ihre Pflicht erfüllt. Zwischendrin haderten wir noch einige Male mit unserem Schicksal (“Grande Grosso” wird für Chris wohl zu einem der traumatischsten Sätze, die je gesendet wurden). Aber in der zweiten Halbzeit wurde das Spiel dann interessanter. Schweini zeigte gerade seine “brotlose Kunst” (Zitat Chris), als sein Schuss am zappelnden Ricardo vorbei ins Netz flog. Kurz darauf zwang Schweinsteiger Petit zu einem Eigentor. Das gute Ende der WM war eingeleitet worden. Als dann die Szene in der 78. Minute “schon längst vorbei” war (Zitat Flip) zimmerte Schweini den Portugiesen mit dem wahnsinnig nervenden Cristiano Ronaldo noch einen dritten Ball ins Netz. Der Anschlusstreffer kurz vor Schluss war dann nur noch ein winziger Schönheitsfehler. Jetzt begann im Stuttgarter Stadion die größte Party, die je eine Mannschaft bei einem dritten Platz erleben durfte. Alle lagen sich in den Armen, die Kanzlerin biss Klinsi in die Schulter und wir waren Weltmeister! Naja, fast… :-)
Auch ich war wieder gut gelaunt und ertrug sogar ein letztes Mal mit Anstand Jürgen Klopp, den ewig geilen noch “superer” gelaunten Grinsetrainer, dem Chris sogar eine Fernsehkarriere bei Wetten Dass zutraut. Freunde der Südsee, der Mann ist anstrengend :-)
Noch vor dem Finale gab’s dann heute ein weiteres Mal Gänsehaut pur. Unsere Mannschaft war zur Berliner Fanmeile am Brandenburger Tor gekommen, um sich noch einmal richtig feiern zu lassen. DAS war wirklich nochmal der Hammer. Ein solche Stimmung, das ist wirklich weltmeisterlich. Ein absolut geiles Fußballjahr geht damit weiter. Erst das Pokalfinale mit der Eintracht, der souveräne Klassenerhalt, jetzt diese WM und bald noch Uefa-Cup. Mein Gott, wo soll das noch hinführen!?!?!? Jetzt fehlt zu meinem Glück nur noch eine Wag, aber meine ist halt eben weg… Das war bei der letzten WM aber genauso. Wäre nur schön, wenn ich diesbezüglich vielleicht meinen EM-Rhythmus beibehalten könnte (sofern man da tatsächlich schon von Rhythmus sprechen kann). Ansonsten sollte ich vielleicht doch langsam umsatteln: Klinsi, Poldi, Schweini - ich will ein Kind von Euch!!! ;-)

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